Demokratie

Demokratie

(Frogster Interactive)

geschrieben von Bernd Wolffgramm

 

Sie sitzen, sooft es geht, vor ihrem Computer und simulieren den Bau von Achterbahnen und wollen einem Freizeitpark zu regionaler Größe verhelfen? Dann sind sie out! Sie denken, nur weil Sie in ihrem kleinen simulierten Skigebiet ein paar armselige Hotels vor dem Ruin gerettet haben, sind Sie der König? Weit gefehlt, Sie sind ebenso out wie der Typ mit den Achterbahnen. Wer wirklich etwas auf sich hält, der managt das Wohl und Wehe ganzer Nationen. Das Spiel "Demokratie" von aus dem Hause Frogster Interactive ist die deutsche Übersetzung des Spiels "Democracy" und wendet sich an all jene, die sich nicht mehr mit den thematisch beschränkten Bruchstücken einer Simulation zufrieden geben, sondern die das große Ganze sehen.

Kanzler werden ist nicht schwer ...

"Demokratie" setzt den Spieler an die Stelle des Führers einer Nation. Das Wort Führer soll dabei nicht missdeutet werden, es handelt sich durchweg um gewählte Staatsoberhäupter, die versuchen, nach vier Jahren wiedergewählt zu werden. Folgende Länder stehen zur Auswahl: Großbritannien, Frankreich, Japan, Kanada, Deutschland, Schweden, Italien, Australien, Russland, Polen und Taka-Tuka-Land, jedenfalls ist anzunehmen, dass es sich um Taka-Tuka-Land handelt, da dem Tester sonst kein weiteres Land bekannt ist, das eine Flagge mit rot-blauen Streifen und 50 Sternen besitzt.

Zu Beginn des Spiels entscheidet man sich für ein Land, das man führen möchte und wird dann auch gleich dazu beglückwünscht, dass man die Einstiegswahl gewonnen hat. Ziel der Simulation ist es, alle vier Jahre wiedergewählt zu werden. Je nach Nation bekommt man dann ein Setting vorgelegt, das dem jeweiligen Land gerecht werden soll. Die Entwicklerfirma Positech Games rühmt sich dabei, die Strukturdaten der jeweiligen Nationen originalgetreu abgebildet zu haben. Und diese Daten sind es dann auch, durch die sich die Länder unterscheiden und die jeden Länderchef zwingen, sich anders zu verhalten als sein Kollege im Nachbarland.

Der Regierungschef bekommt beim Start des Spiels ein paar Aufgaben mit auf seinen Amtsweg, die er mittel- oder langfristig lösen muss. Diese Brennpunkte sind je nach Entwicklungsstand des Landes unterschiedlich, in den ersten Wahlperioden gleichen sich zumindest die Aufgaben in den westlichen Industrienationen sehr. Alle Länder haben mit Billigimporten zu kämpfen, das Land nimmt gemessen an seinen Ausgaben zu wenig Steuern ein und der Gesundheitszustand der Bevölkerung lässt wegen der Industrialisierung und der damit verbundenen Umweltverschmutzung zu wünschen übrig. Die einzigen Länder, die zu Anfang andere Probleme haben, sind Russland und Polen. Polen hat mit einer hohen Obdachlosigkeit zu kämpfen und marodierende Massen ziehen lynchend (!) durch die Straßen und in Russland - wer hätte das gedacht - gibt es ein Alkoholproblem.

Der Regierungschef hat nun die Möglichkeit, verschiedene Einzelmaßnahmen zu ergreifen, durch die er glaubt, einem Problem Herr zu werden. Dazu steht ihm Gesetze und Maßnahmen aus sieben Bereichen der Staatsführung zur Verfügung, mit denen er hantieren kann. Diese Gebiete sind Wirtschaftspolitik, Steuerpolitik, öffentlicher Dienst, Verkehr, Außenpolitik, Recht und Ordnung sowie soziale Sicherung. In jedem dieser Gebiete kann der Leader mit einer Fülle von Einzelmaßnahmen tätig werden. Gibt es zum Beispiel das Problem der Billigimporte, so erhebt der Regierungschef Zölle auf Einfuhren zum Schutze der eigenen Wirtschaft und wird somit im Bereich Außenpolitik tätig. Herrscht eine Asthma-Epedemie, dann könnten zum Beispiel die Ausgaben für staatliche Gesundheitsförderung erhöht werden und somit ist dann der Bereich "Öffentlicher Dienst" betroffen. Bei diesen Maßnahmen könne bereits laufende Projekte geändert oder neue in Leben gerufen werden.

Alle diese Maßnahmen greifen nicht sofort, sondern erst nach einer bestimmten Anzahl von Monaten oder Jahren. Neben diesen mittel- und langfristigen Situationen muss der Leader auch kurzfristige Entscheidungen treffen, diese betreffen die sogenannten Dilemmas. Darunter versteht man eine Aufgabe, die vor Beendigung der Runde erfüllt werden muss. Dies betrifft meistens rein politisches Kalkül und bewirkt kaum globale Strukturveränderungen: Beruft man einen Patrioten zum UN-Botschafter, der mit aller Macht die Position des Lands vertreten wird oder nimmt man besser die weltoffene Kandidatin, die immer um internationalen Ausgleich besorgt sein wird. Erlaubt man die Embryonenforschung oder verbietet man sie.

... Kanzler bleiben dagegen sehr

Das Spiel geht rundenbasiert voran. Der Leader bekommt die Brennpunkte und kurzfristigen Dilemmas aufgezeigt, dann muss er seine Entscheidungen treffen. Hat er sich zumindest der Dilemmas angenommen, darf er die nächste Runde einläuten, die im Game immer den Zeitraum von drei Monaten darstellt. Nach dem Sprung ins nächste Quartal werden in einer Kurzzusammenfassung die kurzfristigen Auswirkungen der politischen Entscheidungen ausgewertet. Der Regierungschef bekommt gesagt, wie sich die Ausgaben- und Einnahmensituation des Landes verändert hat und welche Bevölkerungsgruppen in welcher Weise auf seine Entscheidungen reagiert haben.

Denn spätestens jetzt ist jedem klar, dass es gar nicht darum geht, das Land so gut wie möglich dastehen zu lassen, sondern es ist das Ziel, wiedergewählt zu werden. Denn was hilft es, wenn es zwar keine Armee mehr gibt und das gesparte Geld in die Bildungspolitik gesteckt wurde, wenn 80% der Bevölkerung sich nun unsicher fühlen? Um die Stimmung in der Bevölkerung zu ergründen, stehen zwei demoskopische Zahlen zur Verfügung, die jedes Quartal neu erhoben werden: Die Bevölkerung wird nach der Zustimmung zur Politik der Führer befragt und auch danach, ob sie ihren Regierungschef im Augenblick wiederwählen würde (die sogenannte Sonntagsfrage).

Diese beiden Werte geben die gewichtete Durchschnittsmeinung aller Einwohner eines Landes wieder. Neben diesen globalen Zahlen gibt es aber auch noch die Zustimmungswerte für viele verschiedene Bevölkerungsgruppen, die einen mehr oder weniger großen Teil des Wahlvolks ausmachen. Da werden zum Beispiel die Eltern abgebildet, die Niedrigverdiener, die Patrioten, die Gläubigen, die Raucher und die Autofahrer. Insgesamt sind es 20 relevante Bevölkerungsgruppen, die unterschiedlich auf die Regierungsmaßnahmen reagieren. Klickt man auf eine dieser Gruppen, dann erfährt man, welche Bereiche des öffentlichen Lebens ihr besonders wichtig sind.

Das ist zum Beispiel bei den Eltern die Drogenpolitik oder der Mutterschutz, bei den Sozialisten Arbeitslosenhilfe und staatliche Wohnungsbauförderung. Wenn man also in der Zustimmung einer dieser Gruppen Defizite aufweißt, dann kann man sich anhand dieser Themen überlegen, welche Politik wohl für diese Wähler zu einer größeren Zustimmung führen würde. Im Falle der Eltern könnte man zum Beispiel die Waffenschutzgesetzgebung verschärfen oder das Kindergeld erhöhen, mit dieser Politik würde man sich auch bei den Sozialisten beliebt machen.

Allerdings ... hat natürlich jede politische Handlung auch eine Kehrseite. Günstigstenfalls kostet eine Maßnahme einfach nur Geld, das natürlich in den Zeiten leerer öffentlicher Kassen nicht da ist. Meistens ist aber auch eine andere Bevölkerungsgruppe einer Maßnahme gegenüber negativ eingestellt. Wird zum Beispiel die Drogenpolitik verschärft, dann freut das die Eltern, es ärgert aber die Gruppe der Liberalen und kostet Wählerstimmen in diesem Lager. Und hier liegt die ganze Schwierigkeit des Spiels. Es ist zwar schön und gut auf äußere Einflüsse und Bedrohungen oder auf Dilemmas zu reagieren und die Politik bezüglich dieser Probleme zu ändern, doch auch sind die Auswirkungen auf die verschiedenen Wählerschichten zu beachten. Was hilft es, eine liberale Wirtschaftspolitik zu machen, wenn dadurch die Arbeitslosigkeit ins Unermessliche steigt? So wird man niemals wiedergewählt und darum geht es schließlich. Um in dieser Zwickmühle besser auf die Schliche zu kommen und Konsequenzen des politischen Handels besser abschätzen zu können, sind alle Wählergruppen, politischen Maßnahmen und Strukturdaten in einem Netzwerk miteinander verknüpft.

Teile dieses Netzwerks werden dann sichtbar, wenn man einen Knotenpunkt des Spiels mit der Maus aktiviert. Dabei symbolisieren roten Linien Ablehnung oder Verluste, grüne Linien bedeuten demnach Zustimmung oder Gewinne. Klickt man zum Beispiel auf die Maßnahme Geheimdienst, dann erkennt man sofort, dass ein Ausbau des Geheimdiensts die Patrioten freuen würde, die Liberalen brüskieren und die Kriminalität senken würde. Letzteres ist einer der Strukturfaktoren, die bewerten, wie es um den Staat insgesamt gestellt ist. Das Wohlergehen des Staats wird an 14 Faktoren gemessen, weitere Bestimmungsgebiete sind zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt, die Arbeitslosigkeit und die Volksgesundheit, aber auch Sektoren wie Verfügbarkeit von Internet-Zugängen und Lebenserwartung. Nach vier Jahren muss der Leader soviel Zustimmung hinter sich versammeln können, dass er wiedergewählt wird. Er hat also 16 Quartale lang Zeit, sich um die Strukturprobleme seines Landes zu kümmern und gleichzeitig seine Wiederwahl zu sichern.

Grafik? Sound?

Im Wesentlichen besteht das Spiel aus einem einzigen Strategie- und Netzwerkbildschirm, auf dem alle Daten permanent oder zuschaltbar dargestellt werden. In Sektoren auf dem Bildschirm verteilt befinden sich die Bereiche staatlichen Handelns, darin als Buttions dargestellt die aktiven politischen Maßnahmen. In der Mitte des Bildschirms ist ständig der Grad der Zustimmung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu sehen, am oberen Rand des Bildschirms sind die Strukturdaten in ihren Kästchen aufgereiht, im unteren Bereich gibt es Popup-Menüs für die neu aufzusetzenden staatlichen Programme, die Verlaufsstatistiken sowie die Spieloptionen. Damit ist die ganze Grafik erschöpfend beschrieben. Auch der Sound ist eher rudimentär, die ganze Zeit ist eine staatstragende schwere orchesterartige Musik zu hören, die zwar zum Thema passt, aber leider nicht variiert.

"Demokratie" ist eigentlich der falsche Name für diese Simulation. Denn außer der Wiederwahl gibt es hier keinen einzigen demokratischen Prozess. Eigentlich müsst das Spiel "Diktator" heißen, denn der Spieler bestimmt ganz allein das Handeln und Denken des Staates. Ein Entscheider kann ohne Abstimmung mit anderen staatstragenden Organen das Land in die eine oder die andere Richtung leiten. Wenn es ihm Spaß macht, kann er in Großbritannien die Monarchie abschaffen, Taka-Tuka-Land in den Kommunismus führen oder in Polen alle Menschen obdachlos machen. Ob er dann allerdings wiedergewählt wird, dass steht auf einem anderen Blatt.

"Demokratie" ist ein Spiel für Leute, die in der Zeitung nicht nur den Sportteil lesen, sondern sich auch etwas für Politik interessieren. Da im Game alle Strukturdaten der Länder und die Interaktionen der Politiken ziemlich genau dargestellt sind, können auch Neueinsteiger einige Grundlagen der politischen Entscheidungsfindung erlernen. Nicht unerwähnt bleiben soll hier noch, dass das Game für nur 14,95€ den Besitzer wechselt und damit wird auch für den kleinen Geldbeutel ein interessantes Spiel erschwinglich. Alles, was ich jetzt noch bereue, ist, dass ich damals in der Uni immer vermieden habe, zu den Vorlesungen der praktischen Wirtschaftspolitik zu gehen, weil die immer am Montagmorgen um 8 Uhr stattfanden, also zwei Stunden vor dem Aufstehen. Vielleicht hätte ich es dann in "Demokratie" geschafft, die Tabaksteuer auf 5000% des Päckchenpreises zu erhöhen und trotzdem wiedergewählt zu werden.

(05.12.2005)

Entwickler: Positech Games
Publisher: Frogster Interactive
Genre: Rundenbasierte Politik-Simulation
Releasedate: bereits erhältlich
Homepage: Demokratie
Preis: 14,95 €
Altersfreigabe: Freigegeben ohne Altesbeschränkung gemäß § 14 JuSchG

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