Deadly Premonition: The Director´s Cut

 

Kultstatus und Eintrag im Guinness Buch der Rekorde sind für manche nicht genug: Nach über drei Jahren kommen europäische PS3-Spieler dank "Deadly Premonition: The Director´s Cut" endlich in den Genuss des über alle Maße polarisierenden Survival-Horror-Titels. Mit sinnvollen Verbesserungen und überflüssigen Verschlechterungen wird der Ruf nochmals untermauert.

Regnerisch mit vereinzelten Ritualmorden

Den Empfang im amerikanischen Kleinstadtidyll Greenvale hätte er sich weniger obskur vorgestellt, doch FBI-Agent Francis York Morgan nimmt es so, wie es gerade kommt und landet nach einem riskanten Ausweichmanöver auf regennasser Fahrbahn im Straßengraben. Versicherungsfragen und Abschleppdienst müssen erst mal hinten angestellt werden, denn schon nach wenigen Schritten scharen sich alles andere als gastfreundliche Zombies um den charismatischen Hauptcharakter. Erste Begegnungen der verfaulenden Art lässt York im Prolog schnellstens hinter sich, denn eigentlich ist er wegen des grausamen Mordes an Anna Graham in der Gegend unterwegs. Am helllichten Tag heißen ihn Sheriff George Woodman und seine reizende Assistentin Emily schon etwas freundlicher willkommen, weisen jedoch die angestrebten Ermittlungen im Mordzusammenhang als überflüssige Zeitverschwendung ab.

Diese voreilige Einordnung der Mordumstände ändert sich bereits nach ersten Untersuchungen an Tatort und Opfer: Nicht nur, dass man die Ermordete in eindeutiger Pose an einen Baum gefesselt vorfand, vielmehr wurde ihr noch bei lebendigem Leib die Zunge abgebissen und gewaltsam die Bauchdecke geöffnet. Alle Indizien deuten auf einen grauenhaften Ritualmord hin, zumal rote Baumsamen, umgedrehte Friedenszeichen sowie ein roter Stiletto-Absatz gefunden werden. Nach weiteren Morden im Verlauf der Geschichte führen heiße Spuren zur Legende des Regenmantelmörders. Diese besagt, dass vor langer Zeit ein geheimnisvoller Mann im roten Regenmantel und mit einer Axt bewaffnet, Morde nach dem gleichen Schema an jungen Frauen verübt haben soll. Immer mehr Fragen werden aufgeworfen: Warum meiden alle Bewohner bei Regen die Straßen von Greenvale? Wieso scheint der mysteriöse Mr. Stewart mehr zu wissen, als er zunächst von sich preisgibt und weshalb besucht alle paar Jahre ein dicker Setzlingverkäufer das kleine Örtchen? Auch Yorks Vergangenheit scheint ihn wieder einzuholen: Doch was haben sein imaginäres Ich namens Zach und die eigene Familientragödie mit den aktuellen Fällen zu tun? All diese Fragen werden am Ende beantwortet.

Fest steht: Wer sich von Anfang an auf die mysteriöse und wendungsreiche Geschichte mit ihrer außergewöhnlichen Erzählweise und unzähligen Überraschungen einlässt, wird mit einem faszinierenden Gesamterlebnis belohnt. Während der gesamten Spielzeit von 15 bis 25 Stunden entfaltet sich eine Stimmung, die mit David Lynchs Fernsehserie "Twin Peaks" vergleichbar ist, wobei viele Gemeinsamkeiten diesen Eindruck bekräftigen: In beiden Fällen untersuchen FBI-Agenten mit einer Vorliebe für sensationellen Kaffee und Kuchen in einer amerikanischen Kleinstadt Mordfälle an jungen Frauen. Zeitweise finden sie sich plötzlich in roten und weißen Räumen wieder. Alle Einwohner scheinen Geheimnisse zu hüten. "Deadly Premonition" nimmt sich deswegen erfreulich viel Zeit für seine Nebenfiguren, die mit optionalen Aufträgen abseits der Haupthandlung verknüpft sind und denen York in der offenen Spielumgebung einen Besuch abstatten kann. Bei all dieser Charakterliebe ist es nur konsequent, bei einer Bürgerversammlung mit allen Charakteren Gespräche führen zu dürfen und sie so besser kennenzulernen. Das Geschehen wird mit unzähligen Zwischensequenzen sowie Dialogen weitergeführt und verliert bei Wiederaufnahme des Spiels durch Rückblenden ŕ la "Was-bisher-geschah" nie den roten Faden.

Schlaflos und hungrig in Greenvale

Tolle Ideen in der Theorie - holprig ausgeführt in der Praxis: So lässt sich "Deadly Premonition" auf dem schnellsten Weg umschreiben, man könnte aber auch umfangreiche Bücher über die Spielmechanismen füllen. In der Regel laufen viele der 26 Kapitel nach demselben Schema ab. Entweder per pedes oder hinter dem Fahrzeugsteuer wird innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens der nächste Missionspunkt angesteuert, der jederzeit gut sichtbar in der Spielwelt als rote Markierung mit genauer Entfernungsangabe integriert ist. Alternativ helfen die Minimap am unteren linken Bildschirmrand oder die große Übersichtskarte im Menü zur besseren Orientierung. Befindet sich York in Gebäuden, werden wie in "Silent Hill 2" alle Räumlichkeiten angezeigt, zusätzlich ist mit klarer Symbolik gekennzeichnet, ob vermeintliche Durchgänge geöffnet oder verschlossen sind. Um die langen Autofahrten in der überwiegend leeren Spielwelt interessanter zu gestalten, führt der FBI-Agent mit seinem imaginären Freund Zach Gespräche über Filmklassiker, Musik sowie aktuelle Geschehnisse in Greenvale. Unterhaltsame Radioprogramme fehlen in den Fahrzeugen mit Benzin- und Schadensanzeige, die sich zwar etwas angenehmer als in der Xbox 360-Version steuern, jedoch immer noch den Wendekreis von schwer beladenen 16-Tonnern aufweisen.

Ist der Ort des Geschehens schließlich erreicht, startet der FBI-Agent sogleich mit dem Profiling, also der Erstellung eines Täterprofils. In "Deadly Premonition" läuft dieses bekannte Vorgehen aus der Kriminalistik folgendermaßen ab: Bis zur Unkenntlichkeit verrauschte Bildschnipsel werden erst dann klar und deutlich, sobald York durch Observation des Tatorts Hinweise zum Mordfall findet. Im Spiel können das häufig die roten Samen sein, aber auch umgedrehte Friedenszeichen, Schlüssel oder Fußspuren. Hat Agent York fürs Erste genügend Beweise gesammelt, dann zieht er ins Hotelzimmer zurück und verfasst an der Schreibmaschine ein Zwischenfazit. Dadurch bleiben die Einzelheiten des verstrickten Falles immer präsent. Bei den Untersuchungen ist an störungsfreie Arbeit jedoch nicht zu denken, weil Zombies und der Regenmantelmörder höchstpersönlich die Ermittlungen gezielt behindern.

An diesen Stellen tritt das spürbar verbesserte Kampfsystem in den Fokus, das durch die optimierte Steuerung in allen drei Schwierigkeitsgraden deutlich präzisiert wurde und weitaus angenehmer von der Hand geht. Außerdem ist eine optionale Move-Bedienung integriert und funktioniert ebenso solide. Die Zombiegegner sind zwar nicht mit üppiger Intelligenz gesegnet, schälen sich jedoch immer wieder furchteinflößend aus dem Boden oder den Wandgemäuern, manche von ihnen verfügen sogar über Schuss- oder Schlagwaffen. Von denen hat York allerdings auch einige im Inventar oder im Aufbewahrungskasten lagernd, wobei sich Schlagwaffen wie Rohre, Golfschläger, Schaufel, Eispickel, Katana oder Messer nach gewisser Zeit abnutzen. Das Schusswaffen-Repertoire, bestehend aus Schrotflinte, Maschinenpistole, Revolver, Pistole sowie Sturmgewehr ist davon nicht betroffen, benötigt aber ausreichend Munition und Zielgenauigkeit. Gewisse Komfortprobleme bleiben bestehen, denn im Schusswaffenmodus bewegt sich der Schütze wie in den Vorgängern von "Resident Evil 6" keinen Meter weiter. Zudem fehlt die Belegung einer Sprungtaste.

Während der Begegnungen mit dem Regenmantelmörder, den man neben Emily auch in einer Mission selbst spielen darf, nützt bis auf den vorletzten Bosskampf keinerlei Waffengewalt. Vielmehr nimmt York dann beide Beine in die Hand, der Spieler rüttelt den linken Analogstick des Controllers hin und her, um zu flüchten. Doch damit ist der Nervenzerfetzende Horror noch nicht vorbei: Entweder taucht der Ritualmörder urplötzlich wie aus dem Nichts auf und verlangt dem Spieler ein blitzschnelles Quicktime-Event ab oder York muss sich mit angehaltenem Atem gut verstecken, bis der Fiesling schließlich aufgibt. Ob es wirklich ausreicht, diese Auseinandersetzung mit dieser mordlustigen Legende für sich zu entscheiden und so wieder den Frieden nach Greenvale zu bringen? "Deadly Premonition" hat noch etliche Überraschungen auf Lager und bietet einen abschließenden Bosskampf, der dem FBI-Agenten noch mal alles abverlangt. Das Programm legt lediglich einen einzigen Speicherstand an, gesichert wird an dafür vorgesehenen, fair verteilten Telefonapparaten.

Kleinere Rätsel wie die korrekte Aneinanderreihung von Schachfiguren oder Aufgaben, einige Gegenstände an der richtigen Stelle zu platzieren, wollen den Ablauf etwas auflockern, wirken bisweilen jedoch stark aufgesetzt und treten vereinzelt sogar mit nervigen Zeitlimits auf. Andere Spielelemente fügen sich da weitaus besser in das Abenteuer, denn York muss auf seinen sprießenden Bartwuchs oder Hygiene genauso achten, wie auf Schlaf und Ernährung. Dazu bietet Greenvale genügend Anlaufstellen und Gegenstände, um sich zu rasieren, die Kleidung zu wechseln oder zu reinigen und Lebensmittel einzukaufen. Mit einer Zigarettenpause lässt sich gar die Zeit überbrücken, denn der fließende Tag- und Nachtwechsel geht nur sehr schleppend voran. Zwischenzeitlich lohnt sich ein Abstecher ins Diner, zu Angelplätzen, Dartspielen oder Checkpoint-Rennen. Das Hauptaugenmerk sollte neben den Hauptmissionen auf den 50 Nebenaufträgen liegen, denn sie sind mit den mitteilungsbedürftigen Einwohnern verknüpft. Sheriff George Woodman beispielsweise vermisst seine Hantel, die er liebevoll Arnold nennt. Die Mutter des ersten Mordopfers sucht verzweifelt nach dem Abschlusskleid ihrer Tochter. Die gut verteilten Sammelkarten sind übrigens jederzeit beim Waffenhändler eintauschbar.

Grafische Grausamkeiten

So sehr "Deadly Premonition: The Director´s Cut" in vielen Disziplinen polarisiert: Grafisch treffen lediglich negative Pole aufeinander und ergeben logischerweise eine abstoßende Wirkung. Von den versprochenen Grafikoptimierungen ist nicht viel seh- bzw. spürbar, als unansehnlich und stellenweise stark ruckelnd sind bereits alle anderen Versionen in Erinnerung. Dabei wird die Bildrate insbesondere während der ersten Spielstunden regelmäßig in die Knie gezwungen. Es wirkt fast so, als benötige die offene Spielwelt auf der PS3 anfänglich eine ganze Weile länger als auf Xbox 360, bis sie vollständig geladen wird - im späteren Spielverlauf fallen störende Ruckeleinlagen glücklicherweise immer seltener auf. Das Gesamtbild bleibt aber in allen verfügbaren Versionen unruhig und matschig. Während die Figuren noch einigermaßen erträglich aussehen und mit aussagekräftiger Gestik sowie Mimik punkten, muten sowohl abgehackte Animationen als auch der Rest wie technische Relikte aus frühen Zeiten der 3D-Ära. Die Spielwelt ist zwar überaus groß geraten, bietet sowohl Wettereffekte als auch fließenden Tag- und Nachtwechsel - jedoch erscheinen Objekte erst ziemlich spät im Bild und sind zusätzlich noch vom allgegenwärtigen Kantenflimmern sowie groben Texturen geplagt. Insbesondere völlig schmucklose Gänge fallen negativ ins Auge und lassen jeglichen Sinn für Ästhetik vermissen. Das macht sich vor allen Dingen in den von "Silent Hill" inspirierten, düsteren Albtraumwelten bemerkbar. Störende Clipping-Fehler dürfen da natürlich nicht fehlen, wenn beispielsweise die schaurigen Zombies nach Beschuss teilweise in Wänden versinken.

Schauderhafte Soundkulisse mit Übersetzungsfehlern

Akustisch stellt der Titel wiederum die alles entscheidende Geschmacksfrage. Auf der einen Seite wird mit vielen passenden, englischsprachigen Synchronsprechern und makabren Geräuschen der Zombiegegner gepunktet. Kurze Musikschnipsel wiederholen sich zwar relativ oft, gehen aber sofort ins Ohr: Mit gemütlichen Gitarrenzupfern und Pfeifen oder dem Trompeteneinsatz werden besonders skurrile Situationen untermalt, stressig-schrillender Alarm kündigt unheilvolle Begegnungen an. Auf der anderen Seite haben sich erstaunliche Rechtschreib- und Grammatikfehler in die deutsche Textübersetzung eingeschlichen. Angefangen in Menüs, wo von "Azeige" die Rede ist, weitergeführt in vielen Dialogen, die manchmal wie in "Yakuza" als unvertontes Textfenster ablaufen. Auch Soundeffekte wurden mehr schlecht als recht integriert. Autofahrten werden aufgrund der besorgniserregenden Motorengeräusche zur Härteprobe für das Gehör, bei Schritt- sowie Laufbewegungen hat man sich offenbar an "Monty Pythons: Die Ritter der Kokosnuss" bedient und der Klang von Schusswaffen spottet jeder Beschreibung.

  

Fazit

Was für ein unglaubliches Wechselbad der Gefühle: Während technische Unzulänglichkeiten an allen Ecken und Enden störend auffallen, trumpft "Deadly Premonition: The Director´s Cut" doch eindeutig mit der wendungsreichen Story und ungewöhnlichen Präsentation auf. Verbesserungen oder gar Optimierungen im Grafikbereich bleiben zwar ein Geheimnis des Entwicklers, eine genauere Steuerung sowie zusätzliche Story-Sequenzen machen die PS3-Version aber dennoch zur besten Wahl, um dieses polarisierende Abenteuer zu erleben.

(15.05.2013)

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